Lyrik Siegfried Kopf
... oder, meine Lebensgeschichte
"Zeit ist ewig neu"
Plitsch Platsch
Vocal: Astrid Kühl, Sarah Burkhardt und Rollo, Text: Astrid Kühl, Gitarre: Ulrich Kindler, Musik und Arrangement: Wolfgang Leminski
Kindergeschichten
Versteckte Fröhlichkeit ©Siegfried Kopf
Zeichnung: Lily Magdalena
Er will es immer noch nicht glauben - seit dreieinhalb Minuten steht Peter vor der Haustür, in der Hand einen Brief, den er aus dem Türschlitz befreit hat. Auf dem Umschlag, der in der linken oberen Ecke mit einer bunten lachenden Maske verziert ist, steht in großen Druckbuchstaben "An den traurigen Peter Fröhlich, Seestraße 11, 21610 Himmelpforten". Peter dreht und wendet den Brief, liest immer wieder seinen Namen, bis er endlich überzeugt ist - der Brief ist wirklich für ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben hat Peter Post bekommen.
Mit einem Freudenschrei stürzt Peter ins Haus, wirft seinen Schulranzen, seine Jacke und seine Schuhe in die nächste Ecke - den Brief zwischen seinen Zähnen geklemmt - und hastet in sein Zimmer. Keine Zeit mehr, der Mama Hallo zu sagen. Wer mag ihm wohl geschrieben haben? Auf dem Umschlag ist kein Absender zu entdecken, nur die bunte Maske, die er vorher schon irgendwo gesehen hat - aber wo? In der Aufregung kann Peter keinen klaren Gedanken fassen, er reißt den Brief einfach und endlich auf.
Und dem Umschlag entreißt Peter den Inhalt, entfaltet ein Blatt nach dem anderen. Das erste und zweite Blatt ist mit schöner Handschrift in blauer Tinte beschrieben. Das dritte und letzte Blatt sieht aus wie eine Landkarte. Alle drei Blätter sind, wie auch der Briefumschlag, in der linken oberen Ecke mit einer bunten lachenden Maske verziert. Voller Spannung und Neugierde beginnt Peter zu lesen:
"Mein allzu trauriger Peter!
Ich muss oft an Dich denken und genauso oft sehe ich Dein liebes Gesicht vor mir, das doch so viel Traurigkeit ausstrahlt. Nie habe ich Dich lachen gesehen. Heute habe ich endlich den Mut, Dir zu schreiben, weil ich für Dich die Fröhlichkeit entdeckt habe. Du wirst Dich jetzt sicher fragen, wer ich bin - doch ich will Dir nur eines verraten: Ich bin die, die immer lacht, wenn Du mich siehst, wenn ich Dich sehe, wenn wir uns sehen. Na, weißt Du nun, wer ich bin?
Wie auch immer, mein lieber Peter, ich mag Dich sehr und habe darum für Dich die Fröhlichkeit gesucht und sie auch gefunden. Die Karte, die Du in diesem Brief findest, habe ich für Dich gezeichnet. Die Karte wird Dir den Weg zur Fröhlichkeit zeigen. Da, wo ich den roten Punkt eingezeichnet habe, wirst Du sie finden. Aber bedenke, mein allzu trauriger Peter, wenn Du sie gefunden hast, wirst Du sie nie wieder los! Also überlege es Dir gut, ob Du die Fröhlichkeit auch wirklich willst, bevor Du Dich auf den Weg machst - ich wünsche es mir von ganzem Herzen, dass Du es willst. Und noch eins: Wenn Du es schaffst, die Fröhlichkeit zu finden, wirst Du auch mich entdecken, wirst Du auch wissen, wer ich bin.
In herzlicher Fröhlichkeit
Deine Maske
Peters Herz klopft so schnell und so laut, als ob es etwas nachzuholen hätte. So sehr er auch in seiner Erinnerung wühlt - er hat keine Idee, wer diesen lieben Brief geschrieben haben kann. Mit zittrigen Händen hält er nun die Karte, eine vergrößerte Skizze des Stadtplanes der Stadt, in der er lebt. In der Nähe des alten Bahnhofs entdeckt Peter den roten Punkt. "Hier soll ich also die Fröhlichkeit finden." Hastig faltet Peter den Brief und die Karte zusammen, holt sich aus der Küche noch ein Stück trockenes Brot - "Hallo Mama" - und ohne eine Antwort abzuwarten, geht's auf die Suche - er will sie finden, die Fröhlichkeit, und das noch heute.
Peter beginnt zu laufen. Er kennt den Weg gut zum alten Bahnhof. Wie oft ist er diesen Weg schon gegangen, wie oft hat er schon alleine in den alten Gemäuern und zwischen den überwucherten Gleisen gespielt. Doch noch nie haben ihm so viele Menschen auf diesem Weg zugelacht. Peter nimmt in seiner Eile von den vorbeirauschenden lachenden Gesichtern weiter keine Notiz, dafür ist jetzt wirklich keine Zeit. Er läuft und läuft und läuft, bis ihm ganz schwarz vor Augen wird. Erschöpft sinkt Peter auf den Boden am Bahnsteig 4. Endlich, der Bahnhof ist erreicht. Kurze Pause, ein flüchtiger Blick auf die Karte - Peter weiß eigentlich genau, wo die Stelle ist, die auf der Karte mit dem roten Punkt gekennzeichnet ist - und im Weitergehen bemerkt er, dass sein Herz immer noch so laut und schnell schlägt. "Was ist nur los mit mir?" Aber bevor Peter noch eine Antwort darauf findet, ist er am roten Punkt, das heißt, an der Stelle, wo er die Fröhlichkeit zu finden hofft.
Wie angewurzelt bleibt Peter stehen, schaut sich um, nach oben, nach unten. Er steht neben der Weiche am Gleis nach Hamburg, mit beiden Füßen in einer Pfütze, die sich hier zwischen den Gleisen gebildet hat. Langsam beruhigt sich das Wasser, wird spiegelglatt und Peter sieht sein lachendes Spiegelbild - und unter dem Spiegelbild eine bunte Maske. Peter denkt an Clarissa, ein Mädchen aus seiner Klasse, die der Maske sehr ähnlich sieht und immerzu lacht. Noch heute wird er Clarissa einen fröhlichen Brief schreiben.
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